Arbeitsorte auf dem Prüfstand
In diesem Frühling stand die Welt buchstäblich still. Reset. Die Stimmung: unwirklich. Auf Tage der Verunsicherung folgten Durchhalteparolen. Den Betrieb aufrecht erhalten, gesund bleiben und den Schaden begrenzen. Weitermachen, bloß weitermachen! Aber wie? Die von if5 Consulting gegründete Initiative spaces4future, formuliert Leitideen (schon seit weit vor Corona), um die vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit mit einer nachhaltigen Neuordnung der Arbeitswelt zu meistern.
Es sind nicht bloß leere Klopapier-Regale die uns aus besagten Tagen im Frühling in Erinnerung bleiben werden. Es sind eben auch jene Bilder frühsommerlicher Tage an denen plötzlich zahlreiche Mitarbeitende ihre Balkone und Terrassen bevölkern und mobil arbeiten. Sie arbeiten konzentriert. Sie arbeiten motiviert. Sie liefern bis dato unvorstellbare Innovationszyklen in Rekordzeit: Dyson nutzt sein Know-How zur Entwicklung eines Beatmungsgerätes, Jägermeister liefert Desinfektionsmittel, McDonalds leiht Mitarbeiter an Aldi und Bosch erfindet “mal eben” einen Schnelltest. Corona als Brandbeschleuniger im Wandel der Arbeitskultur. Aus der Not eine Tugend gemacht!
Szenerien, bei dem die Augen jedes New Workers glänzen. Denn plötzlich offenbarte sich, dass in alternativen Arbeitsentwürfen weit mehr Potential steckt als Mate-Tee und der verstaubte Kickertisch in der Ecke, um Besuchern und Ausbildungsaspiranten zu zeigen, dass man zweifelsohne ganz schön fancy unterwegs ist.
Der Ursprung von New Work
Aber von Anfang an. Definieren wir zunächst für uns New Work: Die Ursprünge finden wir beim viel zitierten Frithjof Bergmann. Dem US-österreichischen Philosophen, der schon in den späten siebziger Jahren in seiner Auseinandersetzung mit rücksichtslosem Kapitalismus der Arbeit eine bis dato völlig unbekannte Dimension verlieh: das “Doppel-Wirklich”. Einfach gesagt: was erwarte ich “wirklich wirklich” von meiner Arbeit? Und das ist eben nicht mehr primär der fette Gehaltscheck und eine Firmenkarosse mit Interieur in Alcantara cremeweiß. Vor allem die aufkommende Y- und Z-Generation fordert im Bezug auf ihre Arbeit Sinnhaftigkeit, Selbstbestimmung und Teilhabe.
Neben dem verschobenen Werteverständnis der neuen Generation hat sich vor allem eines noch verändert: die Arbeit an sich. Auf der einen Seite: Digitalisierung und KI-Algorithmen, die jetzt schon merklich standardisierte Prozessarbeit ersetzen. Auf der anderen Seite: Produkt- und Innovationszyklen, die sich immer schneller selbst überholen (wie nicht zuletzt die Krise eindrucksvoll bewiesen hat). Ein starker Fokus auf projektorientierte und Pionier-Arbeit ist eine Folge. Abteilungen, Hierarchien und Ortsgrenzen verschwimmen dabei zunehmend. Getrieben durch den Mangel an High-Potential-Expertise wird diese zudem bei Freelancern und Beratern zugekauft. Wir reden von der Gig-Economy, die ebenso wie der anhaltende Trend zum Coworking eine Liberalisierung der eigenen Organisationsgrenze und räumlichen Beschränkungen zusätzlich befeuert.
Resiliente Arbeitsorganisation als Antwort
Können wir also einfach so weiterarbeiten wie bisher? Klares Nein! Es bedarf neuer Layouts und einer Kultur, die dem neuen Verständnis von Arbeit und Arbeitsorganisation einerseits, aber auch den immer stärkeren Einflüssen von außen andererseits gerecht wird. Wir sprechen dabei von resilienter Büro- und Arbeitsorganisation.
Innerhalb der Organisation ermöglichen offene Kollaborationsflächen und eine Auswahl verschiedener Gestaltungslayouts (je nach Arbeitsanforderung) zum einen aktivitätsbasiertes Arbeiten, zum anderen größtmögliche Flexibilität. Über die Organisationsgrenze hinweg werden alternative Arbeitsorte zudem eine immer wichtigere Rolle einnehmen.
Genau hier setzt spaces4future an und plant anhand einer Modellregion die Aktivierung von so gennanten “Third Places” (siehe nachfolgend) als Problemlöser grundlegender Strukturprobleme. Wagen wir den Blick in die nahe Zukunft:
Ray Oldenbourg, US-Sozioökonom kategorisiert in seiner Theorie Lebensräume wie folgt: er vergibt den First-Place an die eigenen vier Wände, also das Home-Office. Das Firmenbüro bezeichnet er als Second.-Place eine Begegnungsstätte zwischen First- und Second-Place folgerichtig als Third-Place, wie beispielsweise Coworking oder Working-Cafés. Heute erweitern wir diese Theorie um zwei weiter Plätze: den Fourth-Place wird Wegezeit wie die Bahnfahrt zur Arbeit zugeschrieben sowie der Fifth-Place. Dieser fasst “Arbeiten dort wo es gefällt” zusammen.
Wissensarbeit, so die Grundannahme, wird vermehrt an genau diesen fünf Arbeitsorten stattfinden - nicht bloß in traditionellen Arbeitsstätten. Die Nachfrage nach ortsunabhängigen Arbeitsmodellen steigt folglich weiter an. Die Immobilien- und Quartiersentwicklung sowie auch Verkehrskonzepte werden dieser Nachfrage folgen. Monostrukturierte Bürokomplexe von einst weichen diversifizierten Angeboten die Büro, Wohnen, Gewerbe, Hotel und Coworking beheimaten. Daraus ergeben sich weitreichende positive Effekte auf die Work-Life-Integration und Arbeitsorganisation. Aber auch die Verkehrssicherheit und Umwelt werden spürbar positiv beeinflusst.
Der digitale Reifegrad in den meisten Organisation steigt zudem weiter. Und langsam werden die Vorteile von Remote-Arbeit gelebte Realität. Die Nachfrage nach kleinteiligeren Büroimmobilien und jenen in B- und C-Lagen wächst. Das monogenutzte Bürohochhaus wird endgültig zum Auslaufmodell. Dezentrale Bürostrukturen setzen sich durch. Teilvirtuelle Kokreation steigt damit einhergehend. Pendeln und das morgendliche Stauritual reduzieren sich auf ein verträgliches Maß.
“Die Unternehmenszentrale als sozialer Kit, Ort der physischen Zusammenkunft und Aushängeschild der Unternehmenskultur bleibt bestehen - da legen wir uns gerne fest.”
Die Crux mit der Kultur
Klingt wie eine rosarote Utopie und zugegeben, ganz ohne Crux kommen wir nicht aus: Incentives und Mitarbeiter-Goodies von einst, wie besagter Luxusschlitten mit Interieur in Alcantara cremeweiß, lassen sich nebenbei per Mausklick bestellen. Um seinen Mitarbeitenden Sinnhaftigkeit, Teilhabe und zudem noch eine ernst gemeinte liberale Arbeitsorganisation zu bieten bedarf es einer Reise in den Teil des Unternehmensarchivs, der meist viele Jahrzehnte fest verschlossen geblieben ist: die Unternehmenskultur. Damit ist gleichzeitig klar, der Königsweg zu New Work ist ausgeschlossen!
Dr. Rainer Hillebrand, Ex-Vorstand der Otto-Group, zitierte in diesem Zusammenhang den Philosophen Gerhard Vollmer und bringt es ziemlich genau auf den Punkt: “wir irren uns empor.”
“Einfach mal machen klingt zu schön um wahr zu sein. Vorweg: ist es auch.”
Um ein New Work Projekt nachhaltig zu initiieren bedarf es neben Fingerspitzengefühl einen klar definierten Prozess. An dessen Anfang steht eine intensiven Orientierungsphase mit übergeordnetem Blick auf die Bereiche Hospitality, Organisation, Raum und Technik um aus dem Büro einen Ort zu machen in dem der Mitarbeitende konsequent im Mittelpunkt steht.
Jede Veränderung bringt dabei das sensible Ökosystems “Büro” aus dem Gleichgewicht. Das Erfolgsrezept für die Einführung von New Work enthält erfahrungsgemäß folgende Grundzutaten: Aufbau einer organisationsinternen Lobby durch Information, Verständnis und dosierte Partizipation der Mitarbeiter. Zudem eine gemeinsam definierte Vision mit klar definierten Rahmenparametern.
Völlig unterschätzt wird bisweilen das Thema Nachhaltigkeit als integrativer Bestandteil von New Work. Man muss kein Umweltsoziologe sein, um zu verstehen, dass der Zeiger auf der Klimauhr später als zwei Minuten vor zwölf steht. Ein müdes „weiter wie bisher“ ist einfach keine Option mehr.
Das Flächenkonzepte von spaces4future
Eine Aktivierung und Umnutzung vorhandener Flächen bietet vielfältigste Lösung, auf Zukunftsfragen wie: Verkehr reduzieren, Fachkräfte gewinnen, Nachhaltigkeit fokussieren, Innovationsfähigkeit steigern, mit Veränderungen umgehen. In der Nachfolge werden fünf Flächenkonzepte von spaces4future als eine mögliche Antwort kurz skizziert.
„NetzwerkHub“
Die Idee ist so simpel wie pragmatisch zugleich. Was würde passieren wenn sich beispielsweise die Staatsunternehmen von einst wie eine Deutsche Post, Telekom und Lufthansa zusammenschließen und Flächen zum gegenseitigen Coworking vorhalten würden? Erstens: Es entstünde von jetzt auf gleich ein bundesweites Netz an regionalen Arbeitsorten. Zweitens: rar gesäte High-Potentials finden leichter den Weg ins Unternehmen (Stichwort “War of Talents”). Und drittens: Der Digitalisierungsgrad der eigenen Organisation erhöht sich zwangsläufig weiter. Schließlich heißt remote arbeiten nicht nur weniger pendeln, sondern vor allem digital arbeiten, Kollaboration-Tools nutzen und digitale Affinität steigern.
„QuartierHub“
Was passiert, wenn bezahlbare Coworking-Angebote ein integrativer Bestandteil in Wohnquartieren werden? Die Vorteile des “remote Arbeitens” überwiegen auch hier. Benötigte Erwerbspotentiale im Kontext Altersarmut, Alleinerziehung und auch Pflege von Angehörigen können genutzt werden. Zudem entsteht in unserer Single-Gesellschaft ein völlig neues Sozialgefüge à la tagsüber zusammen arbeiten, nach Feierabend zusammen netflixen.
WorkCommunityHub I („Dorfbüros“)
Nicht erst die Corona-Krise, auch beispielsweise Mietpreisexplosionen in hippen Großstadtvierteln haben die ländlich geprägten Randlagen wieder in den Fokus des Interesses gerückt. Was passiert also, wenn wir da klassische Bürgerhaus von einst neu denken? Dieses Konzept sieht ein multifunktionales Gemeindehaus 2.0 vor. Tagsüber Coworking mit angegliederten Services (Landarzt, Dorfladen) und abends Lern-, Gesellschafts- und Eventwelt. Das Ergebnis: Es lohnt sich wieder, aufs Land zu ziehen. Dörfer werden wieder attraktiver. Ballungszentren hingegen werden entzerrt.
WorkCommunityHub II („Stadtbüros“)
Die “Stadtbüros” folgen der gleichen Idee wie den “Dorfbüros” passen sich aber an die Anforderungen eines urban geprägten Umfeldes an. So könnten angegliederte Services wie zum Beispiel Paketstationen, stationäre Ableger von großen Onlineshops oder auch Drohnenparkplätze sein. Urban-Gardening versorgt temporäre Marktstände mit Frischerzeugnissen.
WorkCommunityHub III („Verkehrshubs“)
Diese Idee denkt den “Park and Ride” Parkplatz weiter. Was passiert, wenn unmittelbar vor den Toren der Stadt, multifunktional genutzte Verkehrs-Hubs mit Arbeitsmöglichkeiten in Reichweite des Schienennetztes entstehen. Die Anreise findet per Individualverkehr statt. Der letzte Kilometer in die Innenstadt ist durch die Arbeitsmöglichkeit garnicht mehr notwendig oder wird per ÖPNV organisiert. Meetings könnten “auch auf halber Strecke” zum Beispiel zwischen München und Berlin ökologisch, ökonomisch und zeitlich konkurrenzlos stattfinden. Überdies können Verkehrshubs im Bedarfsfall lenkende Funktionen übernehmen. Sie hindern beispielsweise Verbrenner-Kfz an der Weiterfahrt und tragen zu sauberen Innenstädten bei.
spaces4future entwickelt damit nicht nur Organisationen an sich, sondern betrachtet die Arbeitswelt im Kontext grundstruktureller Herausforderungen. Warum beispielsweise kein steuerliches Anreizsystem für “vermiedene Arbeitswege” etablieren. Die Ideen solcher Konzepte gehören damit dringend auf die Tagesordnung der Plenarsäle von Kommunal- bis Bundesebene.
Pionierarbeit leisten heißt mutig zu sein und neue Wege zu gehen. Lassen Sie uns mutig sein! Für eine bessere Zukunft. Für mehr Frohesschaffen.